„Renee“ 


Eine Nachricht in meiner Mailbox, die ohne Bild eintraf, erinnerte mich an eigene Startversuche und gewann deshalb sofort meine Sympathie. „Renee.Muc“ sprach endlich einmal von meinen sympathischen Bildern und schmierte mir auch sonst noch eine Menge Honig ums Maul. Ihr fehlendes Bild erklärte sie unaufgefordert damit, dass sie in einem sehr kleinen Ort wohne, wo jeder jeden kennt und sie auf diese Weise zum Tagesgespräch würde. Das klang vernünftig und auch die Tatsache, dass sie nicht so gerne telefoniert, erklärte ich mir mit meinen eigenen Startschwierigkeiten.

Sie beschloss spontan, mich auf neutralem Boden zum Essen einzuladen, damit wir uns ein bisschen besser kennen lernen – auch das fand ich in Ordnung.
Der Ort meines ersten realen Dates war München, was ungefähr in der Mitte zwischen unseren beiden Wohnorten liegt. Das ging ja alles mehr als unkompliziert: Nach zwei Tagen und drei Mails und vielen Komplimenten gibt es ein Candle-Light-Dinner – Herz, was willst du mehr. Schon für den nächsten Tag war das Treffen im Weintrödler vereinbart, ein nettes, kuschliges Lokal, das auch von vielen Theaterleuten und Künstlern besucht wird. Ein Erkennungszeichen beim Treffen war wegen der Übersichtlichkeit des Restaurants und der Tatsache, dass sie ein Bild von mir hatte, nicht vonnöten. Für mein erstes Date per Mausklick war ich ob der Tatsache, dass ich mein Gegenüber eigentlich überhaupt nicht kannte, etwas aufgeregt. Auf der anderen Seite war die Neugier auf meine neue Eroberung Rechtfertigung genug für meinen Blindflug. Dort angekommen, konnte ich schon von außen sehen, dass nur wenige Tische besetzt waren. Das macht es leichter, auf Anhieb den richtigen Tisch anzusteuern, sprach ich mir selbst Mut zu. Zu meinem Bedauern konnte ich keinen Tisch entdecken, an dem eine Frau alleine saß, geschweige denn auf mich zusteuern würde. In der Annahme, dass sie sich nur verspätet hatte, suchte ich einen leeren Platz auf, von dem aus ich den Eingang gut beobachten konnte. Noch bevor ich Platz nehmen konnte, tippte mir jemand von hinten auf die Schulter: „Hi Michael, ich bin`s, Renee!“

Ja, da stand Renee direkt vor mir – Mitte dreißig, etwas untersetzt, blond – und ein stockschwuler Kerl! Kaum hatte ich wieder richtig gehen gelernt, versagten mir um ein Haar erneut meine Beine – auch der Mund wurde wieder trocken und ich fürchtete, dass der kommende Dialog meinem Ersten mit „Lilly“ in nichts nachstand. Da stand dieser glupschäugige, um einen Kopf zu kurz geratene Scharlatan und strahlte mich an – völliges Vakuum in meinem Kopf. Mittlerweilen saß ich auf dem zuvor angesteuerten Platz, vermutlich, weil meine Beine doch noch nachgegeben hatten, und Renee mir gegenüber. Er ergriff sofort das Wort: „Finde das toll, dass es so schnell geklappt hat, hatte befürchtet, dass du noch absagst.“

Wie bitte? Langsam kehrte meine Fassung zurück und ich ertappte mich bei der gedanklichen Abschätzung, ob meine momentan eingeschränkte körperliche Verfassung ausreichen würde, ihn einfach zu vermöbeln. Meine Sprachlosigkeit verunsicherte ihn zunehmend und er begab sich nun auf einen kontrollierten Rückzug durch hastig vorgetragene Erklärungsversuche. Er hätte auf meinen Bildern sofort erkannt, dass, wenn schon nicht eine offene, doch zumindest eine latente Homosexualität vorliegen würde. Ich wusste ja mittlerweile, dass die Bilder nicht gut waren, aber dass ich damit ins andere Lager abgleite, war zu viel des Guten. Gleich morgen, so beschloss ich in diesem Moment, werde ich diese Bilder komplett entsorgen und gegebenenfalls durch ganz alte ersetzen. Den nächsten Christopher Street Day wollte ich schließlich wie bisher als Zuschauer und nicht als aktiver Teilnehmer erleben.

Übrigens habe ich Renee dann doch nicht vermöbelt, sondern ihn nur ein bisschen beschimpft, um mich dann noch für meine völlig unnützen Anfahrstrapazen von ihm mit einem Getränk entschädigen zu lassen.